Kritik-, Votiv- und Entscheidungsbilder - Galerie tonART, 2002




Obwohl dem postmodernen Antiutopismus verhaftet, erweist sich diese Ausstellung dennoch als eine neue Utopie für diejenigen, die unter den klassischen, trennenden Utopien der Moderne gelitten haben.

Wenn Sie diesen Satz nicht gleich verstanden haben, haben Sie die Möglichkeit ihn nachher noch einmal nachzulesen, und zwar da draußen am Schaufenster der Galerie. Ja, er macht es uns nicht leicht, der Künstler Michael Endlicher. Ueberall an den Wänden dieser Ausstellung gibt es was zu lesen. Nicht, daß wir es lesen könnten, genauso wie es einfach bleiben zu lassen, oder nur zu überfliegen. Nein, wir werden geradezu genötigt, Bild für Bild und Wort für Wort zu studieren. Warum? Weil diese Bildtafeln, diese Tafelbilder eine ähnlich beschwörende Wichtigkeit haben wie Gedenktafeln. Das sind nicht einfach beschriftete Malereien, wie man sie häufig sieht. Das sind Inschriften, an denen man nicht vorbeigehen kann.

Derlei Wichtigtuerei könnte einem schon fast wieder auf die Nerven gehen, tut sie aber nicht. Weil sie nicht geradlinig und eindimensional ist, sondern weil sie mit der Ambivalenz und Widersprüchlichkeit spielt. Und das ist das lustige dabei, das humorvolle, das es uns zum Vergnügen macht.

Michael Endlicher präsentiert in dieser Ausstellung drei Zyklen von Schriftbildern, die sich rein optisch nicht allzusehr unterscheiden, weil der Witz und das Signifikante sich erst im Text erschließen.

Die erste Gruppe bildet die von ihm so genannte Kritikmalerei. Das sind Bilder, die ihre eigene Rezension gleich drauf stehen haben. Dabei sind die Texte jeweils Originalzitate von teilweise namhaften Kritikerpersönlichkeiten, Kunsttheoretikern, Philosophen und Kunsthistorikern. So manches Zitat - aus dem entsprechenden Kontext herausgenommen und auf eine beinahe x-beliebige und ziemlich diffuse Malerei gestellt - wird so als Phrase entlarvt, oder bekommt zumindest eine ganz andere Bedeutung.

Michael Endlicher sagt dazu folgendes: Die Anonymität des Autors ermöglicht eine vorurteilsfreie inhaltliche Auseinandersetzung. Der Kritikmaler garantiert daher, daß er niemals Kritiken selbst erfindet (allenfalls minimal zuspitzend eingreift) und daß er seine Quellen niemals aufdeckt.

Die zweite Gruppe Bilder sehen Sie nun im Wesentlichen auf dieser Wand. Es sind die Votivbilder. Votivbilder kennen Sie vielleicht alle aus der Votivkirche. Andachtsbildchen, Dankgebete an einen Heiligen nach einer überstandenen Krankheit, Liebeserklärungen, Beschwörungsformeln für das Panoptikum göttlicher Personifizierungen und Erscheinungen. Nun solcher Art sind die Votivbilder von Michael Endlicher allerdings gewiß nicht. Er wäre nicht er selbst, würde er nicht eine kleine Ketzerei einbauen. Der Zweifel ist ja das Wesentliche kreative Element. Er bringt uns zum Denken, zum Schreiben und auch zum Malen. Einsilbige und auch deswegen sehr prägnante Begriffe mit vier Buchstaben werden hier jeweils in dialektischer Weise einander entgegengesetzt. Und je nachdem, für welche Glaubenswahrheit man sich entscheidet, ergibt sich daraus die entsprechende Hängeoption, das jeweilige Oben und Unten.

Das führt uns schließlich zum dritten Zyklus. Das sind die Entscheidungsbilder, jene die für uns eine tagtägliche Herausforderung zur Stellungnahme fordern. Michael Endlicher im Original: Sie stellen „große“ Entscheidungen den vielen „kleinen“, alltäglichen gegenüber und sollen als Anleitung zur persönlichen Untersuchung verschiedener moralischer Ebenen funktionieren. Ob und wo Ironie zu wirken beginnt, liegt beim Betrachter.

Ja, und das ist es, was mir den Michael Endlicher so sympathisch macht: Er hat ein sehr feines Gespür für Ironie und Humor. Ein Witz ist immer ein Sprung in der Kausalebene einer Geschichte. Daß das gar nicht mal so ungefährlich ist, beweist uns ein Beispiel aus der Nazizeit, als auf folgenden Witz die Todesstrafe stand: Treffen sich zwei Psychoanalytiker - Freud war schon lange emigriert - sagt der eine „Heil Hitler!“ Sagt der andere „Heil du ihn!“ Wie man sieht, springt die Bedeutung von Heil von einer Version zur anderen. Aehnliches passiert z.B. bei Gemälden mit zwei verschiedenen Bildebenen. Michael Endlicher benützt gleich mehrere Brüche: einmal den Sprung von der Malerei auf die Schrift, dann den inhaltlichen Sprung im Text selbst und manchmal - wie eben bei den Entscheidungsbildern der Fall - innerhalb der Wortbedeutung noch von einer These zur Antithese.

Wenn Sie das nicht für lustig halten, vielleicht sollten Sie doch noch einmal den Satz auf der Auslage studieren.....Ich wünsche Ihnen jedenfalls gute Unterhaltung. Die Ausstellung ist eröffnet.

(Eröffnungsrede von Martin Praska, Vorsitzender IGBildendeKunst 2002/03)