Über-Ich und Du, Text zur gleichnamigen Ausstellung im Kühlraum /Sabotage Films, Wien




(Un)mögliche Verknüpfungen von Bild und Text

Seit einiger Zeit durchwandert Michael Endlicher die Welt als Herr Meneutik, mitzuerleben etwa im gleichnamigen Video, das auch in dieser Ausstellung zu sehen ist. Als personifizierte philosophische Disziplin der Hermeneutik, der pathetisch übersetzbaren Auslege-Kunst, hinterlässt er ausgelegtes Zeug, das sich vielfach an aus unterschiedlichen Gründen entstandenen Autoritäten reibt. Bei einigen Spielarten davon, wie etwa den Fotoschriftschnitten, werden Fotografien derart durchlöchert, dass die verbleibenden, großflächigen Bildreste einen Schriftzug ergeben. Eng aneinander geschmiegt erlauben es diese eigens designten Buchstaben den Betrachtern, Auszüge aus Michael Endlichers sprachlich verfassten philosophischen Anmerkungen zu lesen. Als bildnerische Reflexion „Über-Ich und Du“ zeigen erstmals auch Emailtafeln, von Endlicher (sinnlich) treffend als „inverted icons“ bezeichnet, das Konterfei mehr oder minder prominenter Persönlichkeiten. Allerdings gelangen diese Portraitaufnahmen nur in jenen Bereichen zu ihrer mehr oder weniger vollen Farbigkeit, in denen sie vom Schriftzug „Ich glaube dir nicht mehr“ überlagert sind. Der Rest harrt als Negativfolie noch auf den Abzug, der ihn für das menschliche Auge zur Naturfälschung tauglich machte. Wer auf diesen scharfkantigen Autoritätsreiben von Michael Endlicher spricht, schwebt im Fragestatus weiter. Durchaus denkbar, dass angesichts der erwarteten Betrachtungen des Publikums diese Feststellung den abgebildeten Persönlichkeiten in den Mund – besser ins Gesicht – gelegt wird, wobei pikanterweise das künstlerische Selbstgespräch während der Kunstproduktion die erste Rezeptionsebene darstellt. Oder aber es handelt sich um eine Ahnenreihe von abgehalfterten Welterklärern, deren Glaubwürdigkeit vom Lauf der Geschichte und unserer heutigen Alltäglichkeit aufgesogen wurde. Fast möchte man sich dieser zweiten Variante anschließen, hebt sich doch auf zwei der drei Leuchtkästen die Aufforderung „Ich muss mein Leben ändern“ wiederum in der „natürlichen“ Farbigkeit der abgebildeten Szenen aus einem Gewitter und aus einer Wüste vom Negativrest ab. Als „Infinite Growth“ erblüht im großen Leuchtkasten eine Blumenwiese zu einer Farbigkeit, die in ihrer Üppigkeit die an den Rändern und in den Zwischenräumen verbliebene Graustufenästhetik aus der Frühzeit der fotografischen Reproduzierbarkeit der Welt überwindet, aber zwecks Lesbarkeit der sprachlichen Äußerung dennoch darauf angewiesen bleibt.
Bei den an die Wand gespannten bzw. in der Auslage hängenden Fotoschriftschnitten mit den Schriftzügen „Ich bin eine sportliche Natur“ und „Ich war ein anderer“ und den kleineren ausgelegten mit den Künstlerattributen sind die einzelnen Buchstaben mit einem Bindfaden einem Geschmeide ähnlich aneinandergehängt, sodass der durch die bestimmte Reihenfolge der Buchstaben erzeugte Sinn nicht durcheinander geraten kann. Dies wäre auch dann gewährleistet, wenn man die Buchstaben ohne Faden wie bei einem Puzzle auflegen würde, wobei das Motiv auf der Fotografie – zumeist überhöhte Naturdarstellungen als ironischer Verweis auf das nie versiegende Reservoir an Vorlagen für die bildende Kunst – als Ordnungsprinzip diente und damit das Bild als sinnstiftende Instanz am Werk wäre. Spätestens hier geraten die Betrachter in den unausweichlichen Bruch unserer Wahrnehmungsfähigkeiten, jegliches Gerede von Ganzheitlichkeit und dergleichen zerbricht am harschen Kippeffekt dieser Fotoschriftschnitte: Man kann sich entweder dem schriftlichen Sinn oder aber der bildlichen Konsistenz hingeben; gleichzeitig beides zu erfassen bleibt unmöglich. Alle Verknüpfungen zwischen Bild und Text beim Wahrnehmen dieser Fotoschriftschnitte überleben nur innerhalb dieser Unmöglichkeit.
Hartwig Bischof

Hartwig Bischof, 2009. Schriftsetzer, nachhaltiger Bilderbauer, katholischer Artconaisseur, Konsulent für kunstdogmatische Fragestellungen an der theologischen Fakultät der Universität Wien.