So ein fescher Kampl!
Der Salamander verzog keine Miene. „Du oder Ich!“, funkelten seine gewaltigen Glubschaugen. Ich war so weit gekommen, hatte die endlose Ebene der Grasläufer durchlaufen, war den singenden Wackelsteinen mit einer Ode an die Freude zuvorgekommen. Und jetzt das, die heiligen Höhen vor Augen muss mir dieser Koloss auflauern. Sein Schwanz reichte um den ganzen Berg herum und endete erst wieder vor seiner Nase. Die purpurrote Zunge formte unentwegt bedrohliche Zeichen in die warme Frühlingsluft. Da kam mir ein alter Freibeutertrick in den Sinn. Ich holte meine antike Spieluhr aus der Tasche, zog sie bedächtig auf, und als die Hymne „Vivat Bacchus, Bacchus lebe, Bacchus ist ein weiser Mann...“ zart erklang, setzte ich mich seelenruhig mit dem Rücken zum Riesentier auf den steinigen Pfad, stellte mir vor, ein gar feiner Tropfen Weißwein ränne durch meine durstige Kehle, zog meinen Reisespiegel hervor und betrachtete unverfänglich mein wallendes Haar. Neugierig schlich der Salamander näher, und genau im Moment als er sich selbst im Spiegel erblickte, rief ich laut: „Na, du bist aber ein fescher Kampl!“. Da gab es einen gewaltigen Knall mit feuerwerksartigem Funkenflug und Großfeuerrauchentwicklung - der Salamander jedoch war nur mehr so groß, wie Salamander in naturhistorischen Museen eben sind. Ich steckte ihn in meine Botanisiertrommel und lief vergnügt den Hang hinauf. Die Sonne schien mir freundlich hinterher.
Ich erwachte aus einem wunderschönen Traum. Ich war zum Ritter der heiligen Höhen geschlagen worden, hatte gar erlesenem Weißwein zugesprochen und empfing aus dem Munde der holden Gipfelprinzessin auch noch eine ehrenvolle Aufgabe: Ich sollte sie wiederbeschaffen, die tausend Jahre alte und ebensolang verschollene Krone des legendären König Cobanes, der man wundertätige Kräfte zusprach. Als ich die Augen aufschlug, traf mich etwas an der Schulter. Im diffusen Morgenlicht sah ich ein kleines Männchen über mir auf der Eiche sitzen und mit hämischem Kichern Murmeln auf mich werfen. Ich rappelte mich auf, fing das nächste Fluggeschoss mit links und rief ergrimmt zu dem Gnom hinauf: "Heißt du vielleicht Kampl, fescher Kampl?" Da lief das Männchen blitzblau an vor Zorn und zerschmolz im Handumdrehen zu einer blauen Soße, die dampfend vom Zweig tropfte. Zu meinem Glück sprang ich schnell zur Seite, denn das Gebräu hatte im Nu ein tiefes Loch in den moosigen Waldboden gefressen. Merkwürdig, da unten glitzerte es. Vorsichtig stochert ich ein wenig im Loch herum bis ich tatsächlich eine prachtvolle Krone ans Tageslicht fischte. Sie war rundum mit Edelsteinen besetzt. Oder waren es Murmeln? Ich trat in die Morgensonne und setzte mir das Juwel auf den Kopf. Nichts geschah. Ich fühlte mich bestens. In der Ferne sang eine Zikade vom Glück der Iren.
Ein Prachttag. Ich hatte mich meiner Verpflichtungen auf noble Freiersart entledigt und schritt sonnigen Gemüts in das zusehends erwachende Dorf. Der Markt zog mich magisch an. Die prallen Früchte und drallen Würste, die da in Reimform ausgerufen wurden, erquickten Aug und Ohr. Und alsbald auch Nase und Gaumen. Ich biß in ein mit Wisentbraten gefülltes Fladenbrot und spülte das ganze mit einem feinen Schluck Weißwein hinunter. Etwas früh vielleicht, der Wein, aber erstens schlägt dem Kenner keine Stunde und zweitens kommt es anders, als man denkt. Da fiel mein Blick auf einen üppigen Stand mit gar zauberhaft glänzenden Trauben und einer nicht minder erfreulichen Marketenderin, die mich schelmisch anblitzte. „Einen reifen Zapfen vielleicht, der Herr?“, schalmeite sie in meine Richtung. Gebannt von dieser Szenerie ließ ich mich auf ein längeres Verkaufsgespräch ein. Als es schließlich ans Bezahlen gehen sollte, schenkte mir die Schöne einfach ihre Früchte. „So einem feschen Kampl kann man doch nichts berechnen“, hauchte sie, und im selben Moment begann eine auffallend große grüne Traube zu wachsen, sich aufzublähen, regelrecht hervorzuquellen. Groß wie ein Kürbiskopf und leicht wie eine Kichererbse entwand sie sich ihren zu klein geratenen Kollegen und entschwebte majestätisch in die warme Frühlingsluft. Ich ließ es geschehen. Die Zeit war auf meiner Seite.
Endlicher für Gerald Schneider/Weingut Cobaneshof (Chardonnay, Riesling und Grüner Veltliner „Fescher Kampl“): Text, 2003 (Die Kleinfolder wurden den Weinkartons als „Weinlesestoff“ beigelegt.)