ausgelegtes zeug, Text zur gleichnamigen Ausstellung bei DIE SCHAU, Institut für Dogmatische Theologie, Universität Wien




Die Welt benötigt viele, viele Dinge.

Vor allem aber giert sie nach Erklärung. Ohne Herstellung von Sinn existiert sie gar nicht. Kein Grund also, Verwunderung über diese Erklärungswut aufzubringen, schließlich sichert diese Besessenheit das menschliche Überleben in dieser Welt. So tragisch, unerträglich oder zerfleischend kann der Zustand der Welt gar nicht sein, dass Menschen ihm nicht noch etwas Positives abgewinnen können – solange Sinn damit verbunden ist, solange eine handfeste Erklärung Durchhalteparolen parat hält. Aber wehe die Welt leidet Mangel an Sinn, dann reichen kleine Unebenheiten und Verschiebungen aus, um ganze Weltreiche auf die Müllhalde zu kippen. Viele meinen, die Menschen hätten die Sprache ohnedies bloß zum permanenten Durchspielen der Sinnherstellung erfunden, die Sprache sei der Garant dafür, das unendliche Erklärungsbegehren der Menschen so weit in Zaum zu halten, dass es noch auf Sparflamme weiter köcheln kann. Die Menschen haben dafür sogar eine eigene Wissenschaft erfunden, die Hermeneutik. Sinnvollerweise wird diese zumeist mit der Bezeichnung Auslegekunst eingedeutscht. Genau an diesem Punkt tritt Michael Endlicher auf den Plan. Weil gerade die Welt der Sprache immer wieder gerade durch diese Sinnherstellung den Sinn verstellt, überträgt er speziell ausgewählte Wortanhäufungen in Bilder. Er erklärt die sprachlichen Sinnleichen, indem er sie zu Bildern macht und als ausgelegtes Zeug im Rahmen des interdisziplinären Projekts „die SCHAU!“ präsentiert.

Aber was soll hier „erklären“ bedeuten? Benötigt „Sinn“ eine Erklärung? Die Flucht ins Erklären suggeriert eine klassische Form des Erklärens, nämlich einen logischen Schluss: Voraussetzungen werden so miteinander kombiniert, dass sie zu einem hieb- und stichfesten Ergebnis führen. Ebenso klassisch funktioniert dies bloß in der formalisierten Sprache der Mathematik mehr oder minder lupenrein, bereits in der philosophischen Logik fallen bei weitem nicht alle untersuchten Fälle eindeutig aus. Ungeachtet der Tatsache, dass eigentlich die Logik die Grundlage der Mathematik abgibt. Aber dies ist ohnedies nicht der Weg von Michael Endlicher, sein sinngebendes Erklären geschieht ja bildlich. Konkret bedient er sich bei den präsentierten Arbeiten eines dreifachen Weges.

Zunächst wählt er dafür das Medium Video, in dem er wie bei einem Interview für irgendeine Kultursendung des öffentlich rechtlichen Fernsehens auftritt. Als Thema des Interviews entpuppt sich alsbald die Kunst, obwohl es keine Fragestellung, sondern immer nur die Antworten von Michael Endlicher gibt. Quasi ungefragt beglückt er die Betrachter mit seinen Botschaften, wenn man außer Acht lässt, dass potentielle Rezipienten bereits mit einer Portion Neugier ausgestattet sein müssen, um sich überhaupt aufmerksam vor den Bildschirm zu stellen. Souverän, mit vor Nachdenklichkeit strotzender Miene und doch mit hochgestochen gescheiten Aussagen erklärt er rein alles, was es an der Kunst zu erklären gibt. Was sonst als schwarze Schlieren ein geduldig weißes Papier strukturiert, wird hier von Michael Endlicher verkörpert und von ihm zur Aufführung gebracht. Er führt die Kunst richtiggehend vor – zumindest was ausgewählte Spitzenaussagen über ihre Befindlichkeit betrifft. Der sonst klare Abstand zwischen der Kunst einerseits und der Rede über sie andererseits, löst sich auf, Kunstwerk und Redekunst fallen in eins, der diskursive Akt wird zum Kunstwerk. Bedeutet dies aber nun eine Totalerklärung der Kunst als ein selbstreferenzielles System? Oder vollzieht sich hier eine versteckte Tautologie? Der Sinn der Sache - nämlich das Video mit dem Titel „Herr Meneutik“ – verweigert sich insofern einer weiteren Auslegung, als das nun ausgelegte Zeug von Michael Endlicher sofort wieder seinerseits als Herr Meneutik in einem Video zurückgelegt werden kann.

Dieser Übernahmestrategie von überzogen gescheit formulierten Erklärungsversuchen aus dem Bereich der Kunstkritik und Kunstwissenschaft in ein künstlerisches Medium bedient sich Michael Endlicher auch bei seinen Malereien. Die Arbeit Dieses Bild lässt die lässt die Entstehung seines Titels zum Programm werden. Ein Fragment eines Textes wird dort von ihm ins Bild übertragen, der Titel nennt wiederum ein Fragment des übertragenen Textfragments. Die malerische Grundgestaltung der Leinwand erinnert unweigerlich an die Oberfläche einer schon seit einiger Zeit nicht mehr getünchten Wand. Beim Schriftzug stechen einige Buchstaben mit brillanterer Farbigkeit hervor, andere nähern sich der Blässe des Hintergrundes an. Die Schriftzeilen suggerieren die Tiefenwirkung einer Raumecke, was aber die Textgestaltung an Räumlichkeit aufbaut, wird gleichzeitig von der gemalten Hintergrundwand wieder eliminiert, diese ist unüberwindlich flach. Der textliche Sinn bohrt sich in ein malerisches Gehäuse, jener hält stand und eröffnet keine Perspektive. Gerade weil der Herr Meneutik in dieser Situation am Bild ansteht, kann er weiterhin Zeug auslegen, denn nicht zufällig endet das Zitat mit „ist entschieden offen“.

In der dritten Werkgruppe zeigt Michael Endlicher erstmals Fotoschriftschnitte. Unerträglich schöne Fotografien, mit einem Bergsee im Vordergrund und dem steil aufragenden, schneebedeckten Gipfel dahinter, werden derart durchlöchert, dass die verbleibenden, großflächigen Bildreste einen Schriftzug ergeben. Eng aneinander geschmiegt erlauben es diese eigens designten Buchstaben den Betrachtern, Auszüge aus Michael Endlichers Litanei „Ich bin, der ich bin“ zu lesen. Griff er bei den vorangegangenen Arbeiten noch auf Texte von anderen zurück, so schwingt er sich hier selbst zur sinnstiftenden Rede auf. Und abermals geht es um das Problemfeld Kunst, das nun in einer Selbstreflexion über die Möglichkeiten des Künstlerdaseins abgehandelt wird. So spielt die Litanei, bei der Vernissage auch performativ zu Gehör gebracht, das breite Feld künstlerischer Betätigung durch. „Ich bin ein unberechenbarer Künstler / Ich bin ein visionärer Künstler / Ich bin ein radikaler Künstler“, wird man aufgeklärt. Jeder dreizeilige Absatz dieser Selbstbeschreibung wird, wie in einer Litanei üblich, mit dem immer wiederkehrenden Refrain „Ich bin ein großer Künstler“ zu seinem Höhepunkt gebracht. Bei den Fotoschriftschnitten sind die einzelnen Buchstaben mit einem Bindfaden einem Geschmeide ähnlich aneinandergehängt, sodass der durch die bestimmte Reihenfolge der Buchstaben erzeugte Sinn nicht durcheinandergeraten kann. Dies wäre auch dann gewährleistet, wenn man die Buchstaben wie bei einem Puzzle auflegen würde, wobei das Motiv auf der hübschen Fotografie als Ordnungsprinzip diente und damit das Bild als sinnstiftende Instanz am Werk wäre. Spätestens hier geraten die Betrachter in den unausweichlichen Bruch unserer Wahrnehmungsfähigkeiten, jegliches Gerede von Ganzheitlichkeit und dergleichen zerbricht am harschen Kippeffekt dieser Fotoschriftschnitte: Man kann sich entweder dem schriftlichen Sinn oder aber der bildlichen Konsistenz hingeben; gleichzeitig beides zu erfassen bleibt unmöglich. Wenn das nicht ausreichend Erklärung bedeutet … 
 

Hartwig Bischof, 2008. Schriftsetzer, nachhaltiger Bilderbauer, katholischer Artconaisseur, Konsulent für kunstdogmatische Fragestellungen an der theologischen Fakultät der Universität Wien.