Ich glaube dir nicht mehr. Zu Endlichers Inverted Icons




Eine Absage per Ansage.

Michael Endlichers Werk kennzeichnet einerseits eine konsequente Beschäftigung mit Schrift und Sprache und andererseits eine serielle, parallele Arbeitsweise an thematisch und formal ineinander greifenden Bildzyklen. Er verwendet Wort- beziehungsweise Buchstabenspiele, Lautmalerei sowie performative Aussagen und betont dabei die Materialität des Geschriebenen, des Schreibaktes und die bildliche Form des Textes – ähnlich manchen Konkreten oder Visuellen Poeten. Dies steht mit der Auffassung von Sprache als mit dem Denken und Handeln verbundenem Medium in Zusammenhang: Sprachkritische Ansätze im Sinn Michel Foucaults oder auch Roland Barthes, für den Sprache ein Ferment der Verinnerlichung von Machtverhältnissen darstellt, sind für die Integration von Sprache in der bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts und vor allem für die Konzeptkunst der 1960er Jahre zentral. Diese Möglichkeit der Machtausübung, die sprachlichen und textuellen Aussagen innewohnen, wird in Endlichers Werkkomplex Inverted Icons deutlich.
Die serielle oder zyklische Arbeit hat nicht ausschließlich die Funktion formale, motivische oder thematische Problematiken zu vertiefen, sondern wird bei Inverted Icons zur Handlung, die Teil der Thematik ist. Jede einzelne Arbeit impliziert bereits die Gegenwart einer möglichen Wiederholung, die als „Instrument" den (manipulativen) Einfluss der Sprache verstärkt: ein Ritus oder ein oft repetierter Vorgang prägt sich ein, eine oft wiederholte Litanei bleibt im Gedächtnis.
Ich glaube dir nicht mehr, ich glaube dir nicht mehr, ich glaube dir nicht mehr lautet die Beschwörungsformel in verschiedenen Sprachen, die sich durch die Arbeiten zieht und die Portraits der „Ikonen“ (Buddha, Jesus, Che Guevara, Mickey Mouse, Alice Schwarzer, diverse internationale Politiker, aber auch Bildnisse des Herausgebers der österreichischen Kronenzeitung, der Künstler selbst und auch sein Galerist tauchen auf) fast bildausfüllend überlagert. Endlicher unterwirft die Fotografien der „Figuren“, die für einen öffentlichen oder einen privaten Diskurs in irgendeiner Weise bedeutend sind, jeweils demselben Raster. In der Einzelarbeit bezieht sich die Absage auf ein bestimmtes Vorbild, in der Serie wird die Verneinung der Glaubwürdigkeit einer Person zu einer allgemeinen Lossagung von Vorbildern (oder Ikonen), die als Prinzip beliebig erweiterbar ist.
Die visuelle Umsetzung „zitiert“ diese Grundaussage in dem die Flächen des Bildes nur an den Stellen, an denen sie von den fetten Lettern der Schrift überschnitten sind der Originalfotografie oder dem Originalbild ähneln. Der Text scheint transparent zu sein, es entsteht die Illusion eines „Fensters“, denn dort wo der Körper der Schrift das Bild überlagert ist die ursprüngliche Fotografie erkennbar, der Rest des Bildes zeigt eine digital manipulierte (verfremdet-verklärte) Version.
Der Titel Inverted Icons ist sowohl ein Hinweis auf den technischen Eingriff in die Fotografie als auch auf den rezeptiven Vorgang, den Endlicher bezweckt. Denn der Satz Ich glaube Dir nicht mehr in Verbindung mit der visuellen Umsetzung beinhaltet einen performativen Aspekt: Eine Absage per Ansage. Der Betrachter/ Leser wird zum Einstieg in diese Litanei „gezwungen“. Denn der Text ist nicht nur in der „Ich-Form“ geschrieben, was eine Identifikation bewirkt, sondern zusätzlich nicht auf den ersten Blick durchschaubar: Neben der schwer lesbaren Typografie übergeht Endlicher die Worttrennungen, ICH GLAU BEDI RNIC HTM EHR. Das Lesen wird zum Entziffern, fordert erhöhten Einsatz, Arbeit sogar, bevor dann die Erkenntnis über die Aussage des Satzes folgt. Aber dann ist es schon zu spät, man ist bereits Teil dieses performativen Akts.
 

Dr. Anna Spohn, 2010. Kunsthistorikerin, Kuratorin, Senior Scientist (Universität für angewandte Kunst/Institut für Kunstwissenschaften, Kunstpädagogik und Kunstvermittlung)